Sicherheit ist nicht verhandelbar!
Sicherheit ist nicht verhandelbar! Diese Erkenntnis hat sich in vielen Ländern der EU seit vielen Jahrzehnten zu elementarer Gewissheit entfaltet. Und doch haben die Mitgliedstaaten der EU vor ein paar Jahren eine Vorschrift in Kraft gesetzt, die diese Erkenntnis rücksichtslos negiert: die Bauproduktenverordnung. Mit ihr hat die EU politischer Erwägungen wegen, gesicherte bisherige Prinzipien auf den Kopf und diffuse wirtschaftliche Marktinteressen höher gestellt als die konkrete bautechnische Sicherheit ihrer Bevölkerungen.
Die Bauproduktenverordnung verbietet es bekanntlich, defektive europäisch harmonisierte Bauprodukte (hEN) mit zusätzlichen nationalen Qualitätskriterien zu vervollständigen, um national geltende Sicherheitsstandards erfüllen zu können. Dieses Verbot hat in Deutschland signifikante Komplikationen in Form von sicherheitsempfindlichen Qualitätslücken in vielen Normen ausgelöst. Im Zentrum dieser Komplikationen stehen die Prüfsachverständigen. Ihnen ist ja im Zuge der Privatisierung und Deregulierung staatlicher bauaufsichtlicher Obliegenheiten in den neunziger Jahren oktroyiert worden, die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Anforderungen zu überwachen, zu prüfen und zu bescheinigen – und zwar in rein privatem Auftrag. Seither vollziehen sie keine hoheitlichen bauaufsichtlichen Aufgaben mit amtlicher Rückendeckung mehr, sondern sind einem privatwirtschaftlichen Haftungsrisiko nach zivilrechtlichen Grundsätzen unterworfen – sie sind also nicht mehr komplett unabhängig vom Bauherrn, was unter dem Aspekt der bautechnischen Sicherheit ein bedenklicher Zustand ist.
Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass die nationalen Konsequenzen der Bauproduktenverordnung dem Prüfingenieur oder dem Prüfsachverständigen Entscheidungen abverlangen, die sie unter professionell korrekten Bedingungen überhaupt nicht treffen können, weil ihnen gesicherte Informationen und exakte Leistungsdefinitionen von Bauprodukten verweigert werden (Stichwort: „NPD“, der Wissende weiß, was gemeint ist). Dem hoheitlich tätigen Prüfingenieur steht da die Amtshaftung zur Seite …
Diese prekäre Situation zersetzt seit Jahren die Überzeugungen vom Primat bautechnischer Sicherheit vor Profitabilität, und sie bedeutet, was mit Zahlen bewiesen werden kann, eine eklatante Reduzierung der Bauwerkssicherheit; und damit auch – wegen der Beseitigung vermeidbarer Mängel und Schäden – einen präzise messbaren Anstieg der Baukosten.
Das alles verlangt nach Abhilfe. Es sei nun „höchste Zeit zum Handeln“, hat deshalb mein Vorgänger im Amt, Dr.Ing. Markus Wetzel, an dieser Stelle vor einem Jahr konstatiert und Maßnahmen angekündigt. Die sind mittlerweile in Gang gesetzt worden.
Und zwar – unter anderem – in Form eines Gutachtens, das einer der renommiertesten Staatsrechtler Deutschlands geschrieben hat, Prof. Dr. jur. Dr. sc. pol. Udo Di Fabio. Er war jahrelang Richter des Bundesverfassungsgerichts und ist heute Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universität Bonn. Er hat die „Sicherheit von Bauwerken unter Binnenmarktbedingungen“ untersucht und die „staatliche Gewährleistungs- und Integrationsverantwortung für die Standsicherheit und den Brandschutz von Bauwerken, Gebäuden und Konstruktionen der Infrastruktur“ analysiert. Er kommt zu dem Schluss, die sicherheitsrelevante Qualitätslücke, die sich in Deutschland auf Grund der nationalen Folgen der Bauproduktenverordnung aufgetan hat, verlange die vorbehaltlose Erkenntnis, dass „die Tätigkeit des Prüfsachverständigen, der an Stelle der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen hat, ob das Bauvorhaben in statisch-konstruktiver Hinsicht den Anforderungen des Bauordnungsrechts entspricht … im öffentlichen Interesse steht“, nämlich im Interesse der Gefahrenabwehr.
Dieses Gutachten hat der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik (BVPI) aus berufener Feder glaubwürdig und überzeugend attestiert, dass ihre seit Jahren diesbezüglich erhobenen Forderungen gerechtfertigt und keine Propagandafloskeln sind. Und deshalb drängt sie im Namen ihrer Mitglieder nun mit noch mehr Nachdruck darauf, dass die Prüfung der Planungsunterlagen im Dienste der bautechnischen Sicherheit künftig grundsätzlich hoheitlich zu erfolgen habe.
Wer übrigens Anstoß daran nehmen sollte, dass die Bundesvereinigung das Gutachten selbst in Auftrag gegeben hat, der sollte sich davon überzeugen, dass es reine Jurisprudenz atmet und keine Interessenpolitik darstellt. Das Gutachten steht auf der Website der Bundesvereinigung, wo sich jeder davon überzeugen kann, dass nur die hoheitliche Prüfung mit Hilfe amtlich beliehener Prüfingenieure der Königsweg zu sicheren Bauwerken ist.